Jede Millisekunde unseres Lebens senden wir Botschaften. Wir sprechen mit dem Mund, den Augen, mit Händen und Füßen, ja sogar im Schlaf. Der Mensch ist eine komplexe Funkanlage - mit Potenzial.
"Gesellschaft bzw. Sozialität ermöglicht überhaupt erst Individualität. Individuen und Individualität sind erst auf Grund sozialer Wechselwirkungen möglich." (2009). Der Mensch als soziales Wesen — zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft, Natur und Kultur. In: Kompendium der Soziologie I: Grundbegriffe. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91345-2_2
Wir Menschen sind nur imstande uns selbst wahrzunehmen, wenn wir Reaktionen auf unsere Botschaften erhalten. So entwickeln wir ein eigenes Bewusstsein und Selbstbewusstsein und das brauchen wir, um uns in Gemeinschaften zurecht zu finden.
Kommunikation ist zirkulär, nicht linear
Wir vergessen manchmal: Kommunikation funktioniert nicht so wie eine Waschmaschine, ein Auto oder ein Computer. Technische Systeme funktionieren so: nach einem Ursache - Wirkung Prinzip. Ich schalte etwas ein und aktiviere beispielsweise einen elektrischen Impuls (Ursache), danach dreht sich die Waschtrommel (Wirkung). Gibt es Probleme und die Trommel dreht sich nicht, kann man im Umkehrschluss die Frage stellen: "WARUM?" und nach der Ursache forschen.
Kommunikation basiert dagegen auf einer Aneinanderreihung von Aktion und Reaktion, Senden und Empfangen. Wo war der Anfang?
Das hat eine ganz unbequeme praktische Konsequenz:
Störungen in sozialen Systemen können mit Ursache - Wirkung Beziehungen nicht erklärt werden. Ein Beispiel: Der Chef ist mit der Leistung eines Mitarbeiters unzufrieden und stellt diesen zur Rede. Was ist die Ursache?
Die schlechte Leistung des Mitarbeiters? Die angespannte private Situation des Mitarbeiters? Seine Kindheit? Die schlechte Laune des Chefs? Die Definition von guter Leistung? Eine verfehlte Zielsetzung?
Keine Chance hier weiter zu kommen und trotzdem unterstellen wir immer wieder diese Ursache Wirkung Sache auch in unserem sozialem Umfeld. - Eine Hauptursache für das kommunikative Desaster im Berufs- und Privatleben und die Schnellstraße in die Konfliktspirale.
Die Frage nach dem "Warum" ist daher in sozialen Systemen weitgehend nutzlos und sollte viel öfter durch die Fragen nach dem "Wie" ersetzt werden.
Wäre doch viel interessanter: Wie kann der Mitarbeiter wieder auf sein ursprüngliches Leistungslevel kommen? Wo sind die Herausforderungen? Wer kann welchen Beitrag leisten?
Empfangsproblem durch Filter, Interpretationen, Phantasien, Emotionen
Wir haben alle unsere eingebauten Filter, Vorurteile, Muster, Prägungen, die wir aus unseren Erfahrungen gezogen haben. Damit unterlegen wir jetzt die Botschaften, die wir empfangen.
Genau genommen filtern wir nicht nur, nein, wir ergänzen, malen aus, interpretieren, setzen Botschaften in andere Kontexte, wo sie nicht hingehören und können dadurch ein Geschwurbel aus Inhalten und Emotionen entstehen lassen.
Begriffe durch Bilder und Narrative ersetzen
Kommunikation ist der Versuch, sich gegenseitig "auszutauschen", Gedanken zu teilen, ein gemeinsames Verständnis zu erzeugen (Anm.: Das Wort kommt aus dem Lateinischen "communi" - "care"). Wir erleben jeden Tag, wie schwierig es sich gestalten kann, Botschaften zu übermitteln und welches Konfliktpotenzial in der Kommunikation liegt. Botschaften sind mit Begriffen beladen, doch woher soll ein Sender wissen, was der Empfänger unter Vertrauen, Verlässlichkeit, Humor, Schrank, Handy, Ziel, Erfolg etc. versteht, wenn all diese Begriffe Filter, Verstärker und Effektgeräte durchlaufen, die der Sender gar nicht kennen kann?
Eine einfache Methode ist die bildhafte Beschreibung und die Erzählung. Wenn wir Bilder und Geschichten entstehen lassen, sind diese weitaus leichter zu vergemeinschaften als Begriffe.
Die Verantwortung von Sender und Empfänger
Also Zusammenfassung: Kommunikation verläuft in einer Kette aus Aktion und Reaktion und unsere Wahrnehmung ist keineswegs "objektiv", sondern durchläuft eine Menge Filter, Verstärker und Spezialeffekte.
Für den Sender bedeutet das:
Er/Sie kann nicht davon ausgehen, dass das Gesendete auch dem Empfangenen entspricht ("Gesagt ≠ Verstanden")
Der Sender kann nur erkennen, was verstanden wurde, indem er dem Empfänger Gelegenheit zur Reaktion (Feedback, Antwort) gibt.
Für den Empfänger bedeutet das,
Nachfragen und zwar inhaltlich und emotional
Sich bewusst machen, dass und im Idealfall, welche "Spezialeffekte" die Botschaft durchlaufen hat.
Möglicherweise gibt es einen Grund, warum wir 2 Ohren haben, aber nur einen Mund, Wenn wir wollen, dass Kommunikation nicht als verzweifelter Versuch, sich auszutauschen endet, müssen wir daran arbeiten.
Norbert Embacher
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