Sie halten Kernprozesse am Laufen, geben das Tempo vor und arbeiten auch selber mit. Entscheidungen, die weiter oben getroffen wurden, sollen sie umsetzen und ihre Mitarbeiter:innen überzeugen. Sie tragen wesentliche Verantwortung für die Unternehmenskultur und spüren täglich den Atem ihrer Mitarbeiter:innen - manchmal auch im Nacken.
Als Schichtleiter, Teamleiter, Produktionsmeister, sind sie häufig aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen in die Führungsrolle gekommen. Fachkompetenz an diesen Positionen ist notwendig, reicht allerdings als stand-alone Fähigkeit nicht aus, um Mitarbeiter:innen im Jahr 2023 führen zu können.
Führungskräfte an der Basis brauchen deutlich mehr Führungskompetenz als bisher
Das erkennen immer mehr Unternehmen und beginnen, auch in dieser Führungsebene am Ausbau von sozial-systemischen Fähigkeiten, wie Konflikt- und Kommunikationsverhalten, Abgrenzungsfähigkeit, Selbstorganisation, usw. zu arbeiten.
Allerdings sind das immer noch Ausnahmen. Die überwiegende Mehrheit konzentriert Führungskräfteentwicklung auf die mittlere und obere Ebene im Unternehmen, Führungskräfte an der Basis bleiben sich selbst und ihren autodidaktischen Bemühungen, "learning by doing" oder "learning by Versuch und Irrtum", überlassen.
Dieses Schattendasein des Themas resultiert aus der Überzeugung, dass "Führungs-Skills" in dieser Ebene nur wenig benötigt werden, weil zu 80% oder 90% ohnehin nur fachliche Entscheidungen zu treffen sind. Diese These ist nicht mehr zu halten.
Ein Team zu einer Werte- und Leistungsgemeinschaft zu führen, dafür zu sorgen, dass Arbeitsplätze sauber bleiben und die Schutzausrüstung getragen wird, dass Unmutsäußerungen die Grenze zur Beleidigung nicht überschreiten, dass Wertschätzung und Respekt auch jungen Mitarbeiter:innen zuteil werden, Herkunft und sozialer Stand keine Bewertungsmaßstäbe im Team werden, Mitarbeiter weiter zu entwickeln, Änderungen von Prozessen und Aufgabenverschiebungen einzuleiten - das alles und mehr zählt zu den Aufgaben von Führungskräften an der Basis. Solche Themen müssen professionell vermittelt und fokussiert werden, weil sie erfolgsentscheidend sind.
Entwicklungsprogramme für Führungskräfte an der Basis müssen hocheffizent gestaltet werden
Da die fachlichen Anforderungen nicht wegfallen, sondern die gestiegenen Anforderungen hinsichtlich der Führungskompetenz hinzukommen, entsteht ein Ressourcenproblem. Fachliche und soziale Fortbildung müssen im Paarlauf bewerkstelligt werden. Entwicklungsprogramme in dieser Ebene müssen also sehr effizient sein, das bedeutet:
kurze Schulungsdauer
sofort anwendbare Werkzeuge
kurzfristige Erfolge
nachhaltige Ergebnisse
Führung entmystifizieren und die handwerkliche Komponente herausstreichen
Natürlich gibt es sie, hochtalentierte Führungskräfte mit dem Leader-Gen. Charismatische Persönlichkeiten, die herausragen und ihren Job besonders gut machen.
Nur kann sich ein Schichtleiter, der seinen Mitarbeitern erklären muss, dass auf 2-Schicht-Betrieb umgestellt wird, nicht in Steve Jobs Manier auf die Bühne stellen und warten bis der Applaus einsetzt.
"Führung" muss entmystifiziert werden. Führen ist keine Raketenwissenschaft, man braucht dafür auch kein spezielles Gen, sondern einen gesunden Mix aus Wissen, Haltung und genau: Handwerk.
Führungskräfte an der Basis haben die Aufgabe "operative Entscheidungen in schwierigen Situationen zu treffen." (nach Elisabeth Ferrari).
Wann aber ist eine Situation schwierig, wann eine Intervention sinnvoll und welches Werkzeug eignet sich am besten?
Wie bereite ich mich auf ein Einzelgespräch mit einem Mitarbeiter vor? Wie kann ich einen schwelenden Konflikt im Team auflösen? Soll ich überhaupt eingreifen? Was mache ich, wenn ich mit einer Entscheidung meiner Führungskraft nicht einverstanden bin, ich sie aber mit dem Team umsetzen muss? Wie dämme ich die Fluktuation in meinem Team ein? Hierfür müssen Werkzeuge und Anwendungsbeispiele vermittelt werden, die von den Führungskräften als praktisch, einfach, hilfreich und sofort anwendbar klassifiziert werden, dann werden rasch Entwicklungen und Verhaltensänderungen sichtbar.
Führungskräfte an der Basis brauchen einen niederschwelligen Zugang zu Führung, sonst landet das Thema schnell in der 'Orchideenecke' und wird als unnötige Zeitverschwendung abgetan. Durch die Betonung der handwerklichen Komponente passiert das Gegenteil. Hier kann auf "wenn-dann Muster" zurück gegriffen werden, ein logisch-technisches Muster, das die Zielgruppe aus dem Tagesgeschäft gut kennt - damit können auch gut Leute abgeholt werden, die schon sehr lange ihren Job als Führungskraft an der Basis machen und reichen Erfahrungsschatz mitbringen.
Ein zentrales Dilemma für viele Führungskräfte an der Basis - die Unterscheidung zwischen der Rolle als Führungskraft und der eigenen Person
Ein Dauerbrenner, der Führungskräfte (in diesem Fall nicht nur jene an der Basis) stark belastet, ist der innere Konflikt, wenn Entscheidungen umgesetzt werden sollen, mit denen man nicht bis überhaupt nicht einverstanden ist.
Führungskräfte an der Basis haben einerseits den kleinsten eigenen Handlungsrahmen, sollen andererseits aber alle Entscheidungen übergeordneter Hierarchiestufen mittragen und umsetzen, denn sie sind der 'Mund des Unternehmens' zu den Mitarbeitern.
Sämtliche Details und Nebengeräusche, die sich aus den Ideen der oberen Stockwerke herausschälen, müssen an die Mitarbeiter getragen, kommuniziert, umgesetzt und in operative Maßnahmen übersetzt werden.
Sie müssen als Sprachrohr des Unternehmens agieren und dabei ihre eigene, abweichende Meinung hintanstellen. Das gelingt nur, wenn sie ausgebildet wurden, Rolle und Persönlichkeit gut und gesund zu trennen. Auf dieses Dilemma sollten sollten vor allem jene vorbereitet werden, die vom Mitarbeiter zur Führungskraft im gleichen Team werden.
Fazit
Die Annahme, dass Führung an der Basis zu 80% - 90% aus fachlicher Führung besteht, ist nicht mehr zu halten.
Neben Fachkompetenz brauchen Führungskräfte an der Basis zusätzlich Führungskompetenz
Führungskräfte an der Basis brauchen hocheffiziente Entwicklungsprogramme
Der Begriff der Führung muss entmystifiziert werden.
Führungskräfte an der Basis bekommen einen guten Zugang zum Thema Führung, wenn die Betonung auf der handwerklichen Komponente liegt.
Eine große, laufende Herausforderung sind, Inkongruenzen zwischen der eigenen Meinung und den umzusetzenden Entscheidungen auf anderen Ebenen, auszubalancieren
Erfolgreiche Führungsarbeit ist weder Raketenwissenschaft, noch genetisch prädisponiert, sondern eine gesunde Mischung aus Wissen, Haltung und Handwerk.
Mag. Norbert Embacher
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